Die Kamera Übung
Ich zeige Dir hier, wie ich Kinder an das visuelle Lernen heranführe.
Es macht wenig Sinn, Kinder gleich mit ganzen Wörtern oder Buchstaben zu konfrontieren.
Buchstaben oder gar Wörter machen den Kindern Stress.
Da sind wir doch wieder direkt bei Üben.
Und bei Schule.
Wollen wir nicht…
Ich gehe das gerne anders an:
Ich frage die Kinder, ob sie eine Kamera mitgebracht haben.
Komische Frage, oder?
Spannend ist, wie die Kinder reagieren.
In der Regel ist die spontane Antwort ein klares „Nein“.
„Ich glaube aber doch, dass du eine Kamera dabei hast.“
Dann überlegen die Kinder.
Wenn es nicht gleich klappt, da lege ich noch nach:
„Vielleicht hast du ja eine Kamera irgendwo in dir…“
Nachdenken.
„Vielleicht in meinem Kopf?“
Manche Kinder kommen da schnell drauf – andere brauchen einen Moment.
An dieser Stelle muss ich mal einen kleinen break machen:
Es gibt ein paar Dinge, die wir uns sofort abgewöhnen müssen.
- Es gibt kein gut oder schlecht.
- Es geht niemals um Zeit. Also Geschwindigkeit.
- Und es gibt nicht richtig oder falsch.
Wie gefällt dir das?
Zurück zu der Kamera im Kopf:
Klar, manchmal gibt es Kinder, die es abstreiten, eine solche Kamera im Kopf zu haben.
Denen muss man es halt beweisen.
Meistens frage ich so etwas wie „Kannst du mir mal dein Zimmer beschreiben?“
Ich möchte wissen, wie das aussieht.
Wo ist die Tür?
Das Fenster?
Das Bett?
Der Schrank?
Und ganz am Schluss frage ich, ob es eigentlich im Moment aufgeräumt ist, oder eher nicht…
Gleichgültig wie die Antwort ausfällt:
Wenn ich dann frage:
„Du siehst das im Moment gerade vor dir.
Vor deinem inneren Auge.
Stimmt’s?“
Dann kommt in der Regel ein „Ja“.
Und dann frage ich, wer denn dieses Bild gemacht hat.
Damit ist dann die Existenz dieser Kamera geklärt.
Oder?
Ich kann an dieser Stelle sogar noch tiefer nachfragen:
„Hast du der Kamera in deinem Kopf eigentlich gesagt, dass sie das Bild machen soll? Oder hat die das einfach so gemacht?“
Natürlich kommt die Antwort, dass die das wohl einfach so gemacht hat.
„Was meinst du: Wenn die Kamera in deinem Kopf so tolle Bilder machen kann ohne dass du sie dazu aufforderst – meinst du dass du ihr dann auch sagen kannst, dass sie ein Bild machen soll?“
Und egal, wie die Antwort ausfällt:
„Wollen wir das mal zusammen ausprobieren?“
Hinweis:
Mein Beispiel mit dem Zimmer funktioniert natürlich ganz prima, wenn die Kids zu mir kommen.
Das klappt aber auch mit anderen Beispielen:
Wenn ich nach einer Situation aus dem letzten Urlaub frage ...
Nach einer Ferienaktion...
Nach dem letzten Zoobesuch...
Nach Omas Wohnzimmer...
Nach…
Immer (!) sind Bilder dazu im Kopf vorhanden.
Manchmal auch ganze Filme...
Uns reicht aber auch ein Fotoapparat. ;-)
Jetzt nehme ich ein Blatt Papier und male irgend ein Symbol darauf.
Ein Dreieck.
Ein Kreis.
Eine Schlangenlinie.
Ein Quadrat.
Ein Raute. Die kann auch auf der Spitze stehen.
Aber natürlich nur eines davon.
Dieses Bild zeige ich dem Kind.
„Sag doch der Kamera in deinem Kopf, dass sie mal ein Photo machen soll.
Die Kamera hat dafür soviel Zeit wie sie braucht.“
"Wenn sie das Bild gemacht hat, dann gib mir Bescheid."
Wenn ich dann ein Zeichen bekomme, nehme ich den Zettel natürlich weg.
Oder drehe ihn um.
Jetzt muss ich dieses Bild überprüfen.
„Kannst du der Kamera sagen, dass sie dir das Bild noch mal zeigen soll?“
„Kannst du es sehen?“
„Ist es deutlich?“
Und nach jeder Frage: Zeit lassen. Es drängelt keiner.
Erst wenn das Kind eine klares JA antwortet, frage ich, ob ich noch ein zweites Zeichen dazu malen darf.
Jetzt nehme ich ein anderes Symbol.
Eine Zickzack-Linie.
Zwei ineinander liegende Kreise.
Ein Strich mit zwei Punkten. Dahinter. Oder darüber. Oder…
Merkst du? Dabei habe ich jede Freiheit.
Dann folgt wieder die gleiche Aufforderung.
„Sag der Kamera in deinem Kopf… „
Und wieder sichere ich das Ergebnis ab.
Das wiederhole ich dann noch ein- oder zweimal.
Dafür gibt es keine Regel.
Ich entscheide das immer aus dem Bauch heraus.
Je nachdem, ob es für das Kind anstrengend war oder ob es eher flott geht.
In der Regel mache ich diese Übung mit drei oder vier Zeichen.
Ganz selten auch mal mit fünf.
Aber drei oder vier reichen normalerweise aus.
Jetzt wird es dann richtig spannend:
Zum Schluss frage ich:
„Wenn deine Kamera dir die Bilder zeigen kann, kannst du die dann einfach abmalen?“
Und dann lasse ich mir die Zeichen aufmalen.
Danach vergleichen wir dann die beiden Zettel miteinander.
Und dabei schaue ich wirklich ganz genau hin.
Wenn ich ein Quadrat auf einer Spitze stehend gezeichnet habe – dann muss das auf dem Zettel des Kindes genau so aussehen.
Da reicht es mir nicht, wenn da ein Viereck aufgemalt ist.
Ich wünsche mir schon eine richtige Kopie.
Wenn das also sofort klappt – dann ist alles prima.
Aber ich will dir auch sagen, was ich tue, wenn es nicht auf Anhieb so gut geklappt hat:
„Da muss irgend etwas mit der Kamera nicht in Ordnung sein.“
„Meinst du, wir können das morgen nochmal probieren?“
"Morgen" habe ich hier nur als Beispiel hingeschrieben.
Je nach der Situation...
... mache ich manchmal sofort noch einen Versuch.
... vertage ich das auf unser nächstes Treffen.
Noch eine Besonderheit zum Schluss:
Ist dir aufgefallen, wie ich mit den Kindern sprechen kann?
… wenn ich diesen Umweg über die "Kamera im Kopf" nehme?
Wenn das nicht klappt, dann kann ich mit den Kindern über das Funktionieren oder Nicht-Funktionieren dieser Kamera reden.
Wir können dann gemeinsam Wege finden, die Photos zu verbessern.
Was wäre, wenn ich das nicht gemacht hätte?
Dann müsste ich sagen:
„Na, das hast du ja jetzt nicht so gut hinbekommen…“
... oder etwas ähnliches.
Merkst du den Unterschied?
Wie gefällt dir diese Art des „Lernens“?
Schreib mir doch dazu einen Kommentar.
Ich würde mich freuen.
Oh mann – fast hätte ich es vergessen:
Wenn das mit den Zeichen geklappt hat, dann fordere ich das Kind auf, das unbedingt wieder zu vergessen!
Doch, ganz im Ernst.
Ich frage immer nach:
„Kannst du das bitte vergessen bis wir uns das nächste Mal sehen?“
Hinweis:
Ich bitte die Eltern wirklich jedes Mal NICHT mit ihren Kindern darüber zu sprechen, was wir gerade gemacht haben.
Was meinst du:
Bei wie vielen Eltern klappt das?
;-)