Lesen üben bei Legasthenie

So sinnvoll, wie ein Kühlschrank am Nordpol.

Braucht kein Mensch.

Immer wieder erreichen mich Anfragen, wie das denn mit dem Lesen üben bei Legasthenie sei.

„Mir ist schon klar, dass schreiben und lesen zusammen gehören. Aber bei meinem Sohn ist es so, dass es mit dem Schreiben mit ach und Krach geht - aber wenn er etwas lesen soll, dann ist der Ofen aus.“

Das klingt logisch und nachvollziehbar.
Ist aber zumindest nicht logisch.

Kinder müssen nämlich zuerst einmal schreiben können.
Jedes Wort, das ich schreiben kann, kann ich auch lesen.
Nur so herum wird ein Schuh daraus.
Und eben niemals umgekehrt.

Mir hat mal ein Kind in meiner Praxis - nennen wir sie Marie - gesagt: „Ich kann dir den Text vorlesen, auch wenn ich den gerade nicht hier habe…“
Und Marie konnte das wirklich.

Warum?

Ganz einfach:
Sie konnte den Text perfekt auswendig.
Spannend ist, wie Marie das gemacht hat.
Sie hat nämlich nicht nur den Text - also im Wortlaut - gelernt.
Sie hatte sich darüber hinaus auch eingeprägt, wo und in welcher Zeile die Wörter stehen. Und das ganze absolut perfekt.

Meiner Aufforderung „Dann mach doch mal…“ kam sie sehr gerne nach. Sie war sogar direkt ein wenig stolz - wohl weil sie mir beweisen wollte, wie gut sie das kann.

Ich beobachtete ihre Pupillen. Daran habe ich erkannt, dass sie wirklich Zeile für Zeile las. Exakt wie aus dem Buch.

„Ich kann dir das vorlesen, auch wenn ich Buch nicht dabei habe." Hatte sie gesagt...

Der Satz stimmt.
Und sagt alles genau aus.
Wenn man weiß, wie man den Satz verstehen muss.
Wörtlich.

Als Marie dann auf die nächste Seite wechselte, habe ich sie unterbrochen.
"Jetzt liest du aber auf der nächsten Seite", sagte ich.
Sie schaute mich völlig verdutzt an und fragte: "Woher weißt du das denn?"

Lesen Üben bei Legasthenie


Was können wir nun daraus folgern:

Ich bin mir wirklich sicher:
Hätten wir den Text vor uns liegen gehabt und ich hätte auf die 3. Zeile gezeigt mit der Aufforderung von dort an zu lesen … dann hätte Marie das gekonnt.
Und zwar perfekt.
Fehlerfrei.

Und jeder, der Marie dabei beobachtet, muss doch denken: „Das ist ja toll, wie gut das Kind Liesen kann!“

Aber dieses Kind kann überhaupt nicht lesen.
Vielleicht noch nicht einmal ein einziges Wort.

Klingt unwahrscheinlich?
Ist aber wahrscheinlich wahr…

Diese Technik, die Marie so perfekt demonstriert hatte, hat gleich mehrere Nachteile:

  1. verbraucht dieses „Auswendig lernen“ extrem viel Power.
    Das
    kostet
    echt
    Kraft.
    Man weiß aus Untersuchungen, dass die Kids etwa drei- bis viermal so viel Energie verbrauchen.
    Sie lernt ja nicht nur den Text, sondern muss diese Information mit der räumlichen Anordnung auf der Seite einprägen. Alles Dinge, die die unauffälligen Rechtschreiber nicht brauchen.

    Bedenke:
    Ein unauffälliger Rechtschreiber muss sich das alles gar nicht merken.
    Er liest einfach jedes Wort.
    Immer eins nach dem anderen.
    Jederzeit.

  2. Das Kind lernt diesen Text lediglich auswendig.
    Aber nicht die einzelnen Wörter, sondern eben nur das komplette Bild der Seite.
    Marie lernt deshalb leider nie Einzel-Wörter.

  3. In puncto lesen lernen bringt es also gar nichts.

  4. Das Kind lernt keines der Wörter zu schreiben.
    Du willst ein Beispiel:
    Nehmen wir etwas ganz einfaches.
    Das Wort Ball.
    Steht in der vierten Zeile als drittes Wort.
    Dass weiß Marie in unserem Beispiel.
    Aber dass da zwei „l“ drin sind…
    Was soll ich mir denn noch alles merken.

Das traurige an dieser Aufzählung?
Marie strengt sich total an.
Aber es bringt nichts.
Höchstens Frust.

Das merkt leider irgendwann auch das betroffene Kind.
Und es spürt den Frust.
Ich strenge mich doch jedesmal so sehr an, wenn wir einen neuen Text lesen.
Und trotzdem: Die anderen können es besser.
Denen fällt das echt viel leichter.
Wie machen die das bloß?
Ich bekomme das so nicht hin.
Das ist doof.
Die sind doof.
Schule ist doof.

Und dann kommst du und fragst, ob ihr ein bisschen lesen üben wollt.
„Klar Mama, da freue ich mich schon den ganzen Tag drauf!“
Das erwartest du aber jetzt nicht im Ernst, oder?
Wahrscheinlicher ist, dass Mama sich einreihen kann.
Bei denen die doof sind.


Lesen üben bei Legasthenie?
Welche Alternativen gibt es?

Denk einfach mal an deine eigene Schulzeit:
Hat dir jemand erklärt, wie du dir Wörter einprägen kannst?
Hat jemand erklärt, wie man Schreiben lernt?

Oder hat man dir auch eher die Wörter immer wieder gezeigt und irgendwann blieben die in deinem Kopf halt hängen?

Nach Untersuchungen geht man heute davon aus, dass etwas 80 Prozent der Kinder automatisch richtig lernen.
Diese Kinder prägen sich ein Bild des geschriebenen Wortes ein.
Genau so geht schreiben lernen nämlich.

20 Prozent der Kinder tun das aber offenbar nicht.
Die müssen andere Wege finden, um sich Schreibweisen zu merken.
Wie machen die das dann?

Das kann ich dir gar nicht so ganz genau sagen:
Aber viele Kinder versuchen, die Schreibweise vom Klang her abzuleiten.

Und viele (angebliche) Tricks, die uns früher schon Lehrerinnen gezeigt haben, unterstützen das. Obwohl ich mir da gar nicht sicher bin, dass den Lehrerinnen das bewusst ist…

„Hör doch mal genau hin“ oder „das hörst du doch!“ sind die harmlosen Varianten.

Sil-ben-klat-schen ist eine andere unsinnige Methode.

Weil Kinder damit dazu verführt werden sollen, in „im-klatsch-mer" das doppel-m zu erkennen.

Das ist keine wirksame Hilfe - das ist ein Krücke.

Auf Krücken kann man sich mühsam fortbewegen - aber vom normalen Laufen bleibt man, solange man Krücken benutzt, weit entfernt. Und den richtigen Bewegungsablauf kann man mit Krücken gar nicht trainieren.

Silbenklatschen ist unterlassene Hilfeleistung.


Ich habe es vorhin schon gesagt: Kinder müssen sich das Bild der Einzelbuchstaben einprägen.
Wenn sie dieses Bild im Kopf speichern - dann können sie von dem Moment an jederzeit darauf zugreifen.
Immer wieder.
Wann immer ihnen danach ist.

Schreiben ist dann so etwas wie abmalen.
Einfach einen Buchstaben nach dem anderen von dem Bild abmalen.
Und:
Richtig.

Wenn wir den Gedankengang jetzt umdrehen… dann wird doch auch Lesen völlig streßfrei, oder?

Das Kind sieht das Bild der Buchstaben, erkennt deren Sinn und kann zum nächsten Wort weitergehen.
Ohne Anstrengung.
Streßfrei.
Mühe los.

Wenn dich das jetzt neugierig macht, dann schau in den kostenlosen Bereich meines Programms.
Wenn dich das jetzt einfach überzeugt, dann schau gerne ebenfalls dort rein.
Und wenn du gerade ins Nachdenken kommst, dann mach das bitte auch.

Einverstanden?
Ich freu mich auf dich.

Unterschrift TH


Nachtrag:
Wenn du überprüfen möchtest, ob dein Kind einzelne Wörter wirklich erlesen kann, dann musst du dir nur einen beliebigen Satz vorlesen lassen.
Und zwar möglichst schnell.
Rückwärts.
Wort für Wort.

Du kannst das selber ausprobieren:
Das ist zwar ein wenig holpriger, aber nur ganz wenig langsamer.
Zumindest für alle, die lesen können.
Viel Erfolg!

Lassen vorlesen Satz beliebigen einen nur dir du musst dann kann erlesen wirklich Wörter einzelne Kind dein ob möchtest überprüfen du wenn.

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