Die zentrale Hörverarbeitung
und ihre Bedeutung für das Schreiben lernen.
"Ich habe den Verdacht, dass meine Tochter oft nicht richtig hört. Sie spricht manche Wörter verwaschen aus. Aber die Untersuchungen beim HNO-Arzt haben keine Auffälligkeiten gezeigt."
Auch wenn der HNO-Arzt nichts feststellen konnte - so kann es dennoch mit dem Hören zu tun haben...
Dabei geht es um zwei Stichworte:
Automatisierung und
zentrale Hörverarbeitung.
Aber lass uns der Reihe nach vorgehen:
Unser Gehirn
Wir müssen zuerst schauen, wie diese grauen Masse in unserem Kopf arbeitet.
Aus dem Biologie-Unterricht erinnern wir, dass wir zwei Hirnhälften haben. Wissenschaftler nennen sie Hemisphären. Wir wissen auch, dass die linke Hälfte für die rechte Körperseite zuständig ist – und umgekehrt. Verbunden sind die Hirnhälften durch einen „Balken“ (corpus callosum). Da dies die einzige Verbindung ist, muss der gesamte Informationsaustausch zwischen den beiden Hirnhälften darüber erfolgen.
Dabei ist total wichtig, ob das gut läuft oder nicht:
In der linken Hirnhälfte befindet sich unser Sprachzentrum - also der Wortschatz.
In der rechten Hirnhälfte wird Prosodie unserer Sprache entschlüsselt. Damit ist gemeint: Die Sprechgeschwindigkeit, Betonung, Lautstärke und die Sprachmelodie wird dort verarbeitet.
Es muss also eine rasend schneller Austausch von recht nach links und zurück erfolgen. Die Prosodie muss permanent mit dem Wortschatz abgeglichen werden.
Warum ist das wichtig?
Weil allein die Betonung die Bedeutung eines Satzes komplett verändern kann.
Der Wortschatz liegt also in unserer Hirnhälfte. Die Bilder, die unser Gehirn mit den Wörtern verbinden muss, liegen rechts.
Meine linke Hirnhälfte kennt also das Wort Flaschenöffner, weiß aber nicht, wofür das Ding da ist.
Dafür weiß die rechte Hirnhälfte, wie das Ding aussieht und was man damit machen kann. Aber: Keine Ahnung, wie das Ding heißt.
Nur wenn das Zusammenspiel der beiden Hälften optimal arbeitet, vereinen sich beide Informationen zu einem kompletten Bild.
Die Hirnhälften-Koordination ist deshalb ein wichtiger Bereich der zentralen Hörwahrnehmung.
Wie funktioniert unsere Wahrnehmung?
Das ist scheinbar ein ganz anderes Thema. Aber deshalb nicht weniger wichtig.
Wie funktioniert unsere Wahrnehmung?
Wie erkennt unser Gehirn eine Bewegung?
Wie erkennen wir die Geschwindigkeit eines vorbeifahrenden Autos? Nehmen wir diese Bewegung fortlaufend wahr, also kontinuierlich?
Was meinst du?
Wie geht Sehen?
Meistens bekam ich die Antwort, dass wir kontinuierlich wahrnehmen. Das stimmt aber nicht. Wir registrieren etwa 25 bis 50 Bilder (Einzel-Wahrnehmungen) in jeder Sekunde. Zwischen den einzelnen Bildern vergehen also etwa 20 – 40 Millisekunden (ms).
Ich weiß, es ist schwer vorstellbar. Es ist aber wissenschaftlich nachweisbar. Und auch ohne hohe Wissenschaft zu bemühen, ist es zu beweisen: Film- oder Fernsehen würden nicht funktionieren, wenn es anders wäre. Beide Techniken zeigen uns in rasend schneller Abfolge einzelne starre Bilder, die unser Gehirn zu einer fließenden Bewegung zusammenfügt.
Wenn es so ist, dass wir "Häppchenweise" wahrnehmen, dann leuchtet doch ein, dass es wichtig ist, wie viele Häppchen wir erkennen, oder?
Lass uns dieses Wissen auf unseren Alltag übertragen. Wir registrieren jegliche Bewegung immer nur in kleinen Häppchen. Das Auto auf der Straße sehen wir also gar nicht die ganze Zeit, sondern nur alle paar Zentimeter oder Meter einmal.
Was bedeutet das ganz konkret?
Ein Auto mit Tempo 50 sehe ich alle 69 cm, wenn mein Gehirn 20 Bilder pro Sekunde wahrnimmt. Wenn ein Gehirn 50 Bilder erkennen kann, sehe ich das Auto alle 28 cm.
Ein ganz schöner Unterschied, oder?
Denn eines ist eindeutig: Je schneller meine Wahrnehmung ist, desto schneller kann ich reagieren. Und das kann echt entscheidend sein.
Ich weiß aus vielen Gesprächen, dass sich das viele Menschen nur sehr schwer vorstellen können.
Deshalb noch ein anderer Vorschlag: Kann es sein, dass es beim Fühlen genauso ist?
Fahre doch mal mit dem Finger auf deinem Arm entlang. Du spürst eine gleichmäßige Bewegung. Ist es denkbar, dass dein Gehirn auch dabei nur Einzel-Reize empfängt?
Das ist nicht nur denkbar: Wenn man genauer darüber nachdenkt, muss es sogar so sein. Es werden doch immer andere Berührungspunkte stimuliert. Jede Nervenzelle kann ja nur den Impuls weiterleiten: Hoppla, jetzt Berührung. Also fügt unser Gehirn die aufeinander folgenden Signale für uns zu einem gleichmäßigen Reiz zusammen. Ist nett von unserem Gehirn, oder?
Dann können wir jetzt zu dem wichtigsten Schritt kommen:
Beim Hören ist es genauso!
Wir hören lediglich relativ kleine Bruchstücke, die erst unser Gehirn zu flüssiger Sprache umwandelt.
Schwer vorstellbar? Aber wahr!
Denke jetzt nicht, dass ich dir hier irgendeinen abenteuerlichen Kram einreden möchte. Alles, was ich hier beschreibe, ist wissenschaftlich exakt nachweisbar.
Das Hören
Ist dir schon einmal der Gedanke gekommen, dass dein Kind möglicherweise nicht richtig hört? Oder bist du schon einmal von anderen darauf aufmerksam gemacht worden? Hast du das Hörvermögen vom HNO-Arzt überprüfen lassen?
Und hat dieser dann gesagt, dass alles in Ordnung sei?
Auch hier müssen wir wieder etwas Theorie zu Hilfe nehmen:
Wir unterscheiden beim Hören zwei Bereiche:
- Das periphere Hören.
Aus der Schulzeit wissen wir noch wie das zusammenhängt:
Schallwellen treffen auf die
Ohrmuschel, werden in den
Gehörgang geleitet, gelangen zum
Trommelfell, werden über
Hammer, Amboss und
Steigbügel zum
Innenohr geleitet, wo sie
umgewandelt werden und als
Nervenimpulse ins
Gehirn
weitergeleitet werden.
Diesen Bereich bezeichne ich einmal als ‚Hardware‘. Deren Funktionsweise kann man nachmessen und somit konkret überprüfen.
Das bedeutet konkret: Das ist der Bereich, den der HNO-Arzt überprüft.
Den Teil, den er weder überprüfen noch messen kann ist
2. Die zentrale Hörverarbeitung.
Die Nervenimpulse werden ins Gehirn weitergeleitet und dort verarbeitet. Ich bezeichne diesen Bereich als ‚Software‘. Wie das Programm, welches die Verarbeitung besorgt, genau arbeitet, weiß niemand wirklich. Da sind wir auf Theorien angewiesen.
TICKT
Was könnte mit diesen Nervenimpulsen geschehen?
Ich möchte dir hier ein Modell vorstellen, wie Hören funktioniert:
Dazu betrachten wir uns zunächst die Abbildung der Schallwellen des Wortes "TICKT". Dieses Wort eignet sich ideal, weil verschiedene Merkmale zusammen kommen:
Es sind gleich drei (!) Konsonanten enthalten, die zu den sogenannten Explosiv- oder Verschlusslauten gehören. Das sind die kürzesten Laute unserer Sprache, da sie meist nicht länger als 40 – 50 Millisekunden (ms) hörbar sind.
Die deutsche Sprache enthält acht dieser Verschlusslaute, die auch als „die acht kritischen Konsonanten B D F G K P T und W“ bezeichnet werden.
Leider sind diese Laute nicht nur extrem kurz, sondern auch teilweise sehr ähnlich: B und P, D und T oder G und K.
Betrachten wir nun das folgende Schaubild.
Unten ist die Zeitschiene. Hier kannst du ablesen, dass die Gesamtlänge des Wortes ca. 450 Millisekunden beträgt. Außerdem erkennst du, wie lang die einzelnen Laute hörbar sind.
Anhand der Schallwellen erkennen wir, dass das ‚T‘ als Anlaut etwa 50 ms lang ist. Es folgt sofort der Ausschlag des ‚I‘ mit ebenfalls etwa 50 ms Dauer. Dann folgt etwa 100 ms lang kein Ausschlag. Das ist leicht zu erklären, aber schwer vorstellbar: Es handelt sich um eine Pause!
Danach ist das ‚CK‘ als ein Laut etwa 50 ms lang zu erkennen.
Und wieder folgen fast 100 ms Pause.
Das ‚Endungs-T‘ als Wortausklang ist ca. 100 ms lang zu hören.
Hättest du das gedacht?
Ein Wort, dass nicht einmal ½ Sekunde lang ist, besteht fast zur Hälfte aus Pausen.
Aus Nichts.
Was für uns aber jetzt viel bedeutsamer ist:
Die einzelnen Buchstaben sind jeweils immer nur 50 ms lang zu hören.
Unsere Wahrnehmung zerschneidet das Gehörte in Scheiben. Ich versuche mal mit den folgenden Grafiken zu erklären, was da passiert. Damit wird klarer, wir unser Gehirn Informationen aufnimmt, um Sprache zu verstehen.
Bei 25 Wahrnehmungen pro Sekunde ergibt sich das folgende Bild:

Ich hoffe, du erkennst, dass jeder einzelne Laut von einer Wahrnehmung 'getroffen' wird. Folglich ist es für unser Gehirn absolut unproblematisch, das Wort eindeutig zu erkennen.
Und jetzt kommt die Einschränkung: Nur die wenigsten Menschen erreichen 25 Hörwahrnehmungen pro Sekunde.
Eher wahrscheinlich ist ein Wert von 12 Wahrnehmungen.
Guckst du:

Du siehst, dass immer noch jeder Einzellaut getroffen wird.
Und jetzt kommst es: Bei Kindern mit Legasthenie oder LRS werden oft viel weniger Wahrnehmungen pro Sekunde gemessen. Die folgende Grafik stellt 8 Wahrnehmungen pro Sekunde dar:

Was können wir folgern?
Zuhören allein kann den Sinn des Wortes nicht vermitteln.
Einfach, weil einzelne kurze Laute gar nicht wahrgenommen werden.
Kann das Gehirn erkennen, ob das Wort Tickt oder Takt ist?
Nein, das kann es ganz offensichtlich nicht.
Was wir nicht richtig hören, können wir auch nicht richtig lernen.
Wenn ich einen Buchstaben gar nicht richtig höre, warum soll ich ihn dann richtig schreiben?
Jetzt müssten doch Kinder, die ein Problem mit der Wahrnehmungsgeschwindigkeit haben, sofort auffallen. Oder?
Leider nicht.
Es gibt so viele andere Möglichkeiten, den Sinn eines Textes zu verstehen. Das Gehirn holt sich die Bedeutung des Wortes einfach aus dem Zusammenhang.
Wenn wir uns über ein Uhrwerk unterhalten, dann macht das Gehirn aus dem letzten Beispiel das Wort tickt. Geht es aber um Musik und Rhythmus, dann macht das Gehirn daraus Takt.
Ist ganz einfach, oder?
Damit es noch einfach wird, versuche bitte den folgenden Text zu lesen:
Lies, wie dein Kind hört
Diesen Dexd liesd du hier so, wie LRS-Dinder Sdrache hören! Damid du diesen Effedd wahrnehmen dannst, sind die achd Donsonanden, welche die Dinder nichd oder nur unzureichend hören, durch den Duchsdaden ‘d’ ersedzd.
Bisd du nichd üderraschd, wie dud du dem Dexd nichd nur folden, sondern ihn sodar weidesddehend versdehen dannsd?
Danz offendar reichd die Redundanz, also der Informadionsüderschuß der deudschen Sdrache völlid aus, um den Inhald des Dexdes aus dem Zusammenhand zu erdänzen.
Sicherlich demerdsd du, dass du dich sdärder donzendrieren mussd, um diesem Dexd zu folden.
Und denau das muss dein Dind sdändid dun, wenn es Sdrache versdehen möchde.
Häddesd du das dedachd?
Hast du das jetzt wirklich probiert?
Wenn nicht, dann hol es doch einfach jetzt gleich nach...
Dann hast du sicher bemerkt, dass du dich viel mehr anstrengen musstest um den Text zu verstehen.
Jetzt stell dir mal für einen kurzen Moment vor, du müsstest das nicht nur ein paar wenige Zeilen lang so lesen - sondern IMMER.
Das kostet so richtig viel Energie.
Mit wieviel Schwung und Elan würdest du dann nach einem Schultag nach Hause kommen?
Dann lass uns jetzt noch mal zu der Koordination der Hirnhälften zurück kommen. Da muss echt alles reibungslos laufen, damit wir Gehörtem auch Sinn entnehmen können.

Wenn wir jetzt noch bereit sind, zu erkennen, dass wir oft genug manche Laute im umgangssprachlichen Gebrauch nicht - oder zumindest nur sehr unzureichend – aussprechen, kann man die Schwierigkeiten der LRS-Kinder ermessen. Dann dürfen wir unseren Kindern nicht böse sein, wenn sie so etwas schreiben:
„Gip mia ma bite di Butta.“
Jeder Mensch kann nur die Sprache erlernen, die er auch hört…
Das erklärt meine Erfahrung, warum herkömmlicher Nachhilfe-Unterricht – der meist auf Üben, üben, üben (also ständigen Wiederholungen) basiert - nicht zum Erfolg führt:
- Wenn ich bestimmte Buchstaben nicht korrekt höre, und somit nicht korrekt wahrnehme, dann spielt es keine Rolle, wie oft dies geschieht.
Sprache lernen
Kinder lernen ihre Muttersprache nur durch das, was sie hören. Sie registrieren Laute, die sie nachahmen. Und erst nach und nach werden korrekte Worte daraus.
Würdest du dir zutrauen, eine Fremdsprache zu erlernen, wenn du nur Bücher zur Verfügung hättest?
Das Ergebnis würde ich mir echt lustig vorstellen...
Zentrale Hörverarbeitung und Wahrnehmungsfrequenz
Das hier kurz zusammengefasste Wissen um die Geschwindigkeit der Wahrnehmung - kurz Wahrnehmungsfrequenz - hat Fred Warnke genutzt, um den Brain-Boy® zu entwickeln.
Dabei handelt es sich um ein Gerät mit dem die Verarbeitungsgeschwindigkeit unseres Gehirns nicht nur gemessen, sondern auch trainiert werden kann.
Eine der Funktionsweisen des Gerätes möchte ich vereinfacht darstellen:
In einem Gerät – etwa in der Größe eines Game-Boy – werden durch Leuchtdioden zwei aufeinander folgende Lichtsignale erzeugt. Aufgabe des Trainierenden ist es, zu erkennen, welcher der Blitze zuerst zu sehen war. Nach richtiger Beantwortung verkürzt das Gerät den Abstand zwischen den Lichtsignalen. Diese folgen also immer schneller aufeinander.
Den gleichen Effekt kann das Gerät über einen angeschlossenen Kopfhörer auch mit kurzen Klick-Geräuschen erzeugen.
Das Tolle daran ist, dass man mit dem Brain-Boy® die Anzahl der Wahrnehmungen nicht nur messen, sondern auch trainieren kann. Die genaue Funktionsbeschreibung würde den Umfang dieser Information sprengen.
Aber ich versichere dir: Es funktioniert.
Probiere es aus!
- Dieses Training hilft jedem.
Auch Menschen, die bereits eine gute Wahrnehmungsfrequenz aufweisen, können mit diesem Gerät trainieren.
Die Ergebnisse sind in jedem Fall gleich: - bessere Konzentrationsfähigkeit,
- schnellere Auffassungsgabe,
- weniger Ermüdung
In jedem Fall halte ich den Einsatz eines Brain-Boy für wesentlich sinnvoller, als den eines Game-Boy!
Und Sie?
Ach ja, einen wichtigen Hinweis: Das gibt es nicht als App.
Einfach weil die Bildschirme unserer Smartphones oder Computer keine Lichtsignale von so kurzer Dauer darstellen können.
Geräte-Empfehlung:
Wenn dich diese Technik interessiert, dann habe ich hier einen Link für dich: Zum Brain-Boy®.
Anders als dort beschrieben, würde ich das Training allerdings wesentlich kürzer gestalten. Ich halte eine Trainingsfunktion und etwa 5 Minuten für völlig ausreichend.
Fazit:
Jetzt weißt du eine ganze Menge über die zentrale Hörverarbeitung.
Entweder bist du jetzt hochzufrieden oder restlos verwirrt.
In beiden Fällen darfst du mich gerne kontaktieren.
Alles Liebe.
